Die Bürokratie würgt unsere Wirtschaft ab

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Ludwig Erhards „Soziale Marktwirtschaft“ war ein historisch einmaliges Erfolgskonzept. Es erlaubte es der neu gegründeten Bundesrepublik, ihren Wiederaufbau zu stemmen, Wohlstand auf breiter Basis zu verwirklichen und die deutsche Industrie wieder an die Weltspitze zu bringen. Das Erfolgsgeheimnis dahinter war zunächst ein rhetorischer Kniff. Denn Erhard war wirtschaftspolitisch weder Sozialist noch Sozialdemokrat – was der Begriff der sozialen Marktwirtschaft vermuten lässt – sondern Ordoliberaler aus der Schule Walter Euckens. Das bedeutet: Die Wirtschaft muss atmen, damit der Staat am Ende auch sozial sein kann. Dem Wohlfahrtsstaat roter Prägung erteilte Erhard eine klare Absage: „Nichts ist in der Regel unsozialer als der sogenannte Wohlfahrtsstaat, der die menschliche Verantwortung und die individuelle Leistung absinken lässt.“

Zu Beginn des Monats schockierten Nachrichten über Volkswagen die Nation. Zum ersten Mal in der Firmengeschichte sollen deutsche Standorte abgebaut werden. Diese Entwicklung hat sich aber lange schon abgezeichnet. Noch im Jahr 2000 hatten die Volkswirtschaften der Eurozone mit etwas über 30 Prozent den größten Anteil am globalen BIP – die USA lagen mit rund 20 Prozent weit abgeschlagen. Mit der Finanzkrise zogen die Eurozone und die USA gleich. Stand 2024 ist die Eurozone auf rund 17 Prozent abgesunken und liegt nun zwar noch gleichauf mit China; die USA beherrschen mit 26 Prozent nun die globale Wirtschaft.

Kein Wunder: Insbesondere über die einstmaligen Industrienationen Deutschland, Frankreich und Italien hat sich längst der Mehltau des Fürsorgestaats gelegt. Hohe Steuern, Gesetze zulasten der Unternehmer und politische Fehlanreize unterdrücken Innovation. In Deutschland holen sich Arbeitnehmer neben dem gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Tagen im Schnitt weitere 19,4 Tage durch „Krankfeiern“ zurück. Der Arbeitgeber muss also im Jahr zwei ganze Monate Lohn bezahlen, ohne eine Gegenleistung zu bekommen – weitere Regelungen wie Elternzeit & Co. nicht eingerechnet. Kontinuierlich steigen auch die Anforderungen bei Bürokratie und Dokumentation – vor allem für kleine Gewerbetreibende wirken sich überzogene Vorschriften ruinös auswirken. Ob penible Buchhaltung, Datenschutz, Lieferkettenüberwachung, oder „Klimaschutz“-Regularien: Die Liste an Belastungen für Unternehmen wird immer länger und ließe sich endlos fortsetzen.

Am schlimmsten ist aber, dass sich Politiker und Bürokraten mittlerweile selbst für die besseren Unternehmer halten. Das Verbot der Neuzulassungen von Verbrennungsmotoren ist der Sargnagel für die europäische Automobilindustrie – die Urheber sahen darin aber einen genialen Schachzug, um die „Technologie-Transformation“ zu forcieren. Vielleicht hätte man bei der E-Auto-Euphorie bedenken sollen, dass die Strompreise in China etwas zehnmal niedriger sind als hierzulande. Wer E-Mobilität einführen möchte, sollte sich erst einmal um günstige Strompreise bemühen. Und während die USA mit Hochdruck an Künstlicher Intelligenz und die Chinesen am Quanten-Computing forschen, erlässt die EU absurde Regelwerke zur Nutzung des Internets.

Politiker- und Beamtenkarrieren hängen genauso an der überbordenden Bürokratie wie die Bilanzen staatsnaher Privatunternehmer. Dreht sich der politische Wind, verschwinden auch die staatlich herangezüchteten Unternehmen wieder so schnell, wie sie gekommen waren. Ein mahnendes Beispiel ist der gescheiterte Versuch unter der rot-grünen Bundesregierung, eine deutsche Solarindustrie zu etablieren. Einige Jahre und viele Milliarden später wird der Markt fast ausschließlich aus Asien dominiert, hier vor allem China. Auch hier geht es wieder um deutlich günstigere Strompreise und laxere Umweltvorschriften für die Produktion. Der Ruf nach Rettungspaketen für VW & Co. ist daher ein Schluck aus derselben Pulle, die den Leberschaden erst hervorgerufen hat.

Damit Deutschland und Europa an der Spitze bleiben können, braucht es eine Rückkehr zu den Werten der Sozialen Marktwirtschaft. Das wahrscheinlichere Szenario ist derzeit aber eine Überdehnung von Bürokratie und Wohlfahrtsstaat bis hin zum Zusammenbruch der öffentlichen Finanzen (als Staatspleite oder Hyperinflation).

Dann werden die „Schocktherapeuten“ ihren großen Auftritt haben, also Marktradikale wie Jeffrey Sachs oder Javier Milei. Die Zertrümmerung des staatlichen Ordnungsrahmens ist aber genauso falsch wie die Überdehnung, die wir jetzt erleben. Am Ende führen beide Wege in die Massenarmut. Die Vernunft hat noch eine Chance – aber nicht mehr lange.

Felix Schönherr

Chefredakteur POLITIK SPEZIAL

Dieser Text ist als Editorial der Ausgabe 08-2024 erschienen. Unterstützen Sie unseren unabhängigen Journalismus mit Ihrem Abonnement.

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